zptp2009h4_Roussillon,Couch in Latenz
René Roussillon (Lyon)
Das psychoanalytische Gespräch: eine Couch in Latenz* The psychoanalytic »conversation«. A couch in latency
Die Psychoanalyse entwickelt sich, indem sie, sich selbst auffächernd, die Vielfalt denkt, ihre Vielfalt denkt. Für die Metapsychologie sind es das Erkunden und die Beschreibung verschiedener Arten psychischer Prozesse, welche das Ausarbeiten von Modellen des psychischen Funktionierens ver- feinern. So schreibt man z.B. dort, wo Freud von »die Verneinung« schrieb, jetzt von »Figuren und Arten des Negativen«. Dort, wo der Analytiker der fünfziger Jahre im Singular dachte, denkt der Analytiker des beginnenden 21. Jahrhunderts im Plural und untersucht »die« Formen der Verdrängung, der Projektion oder der Spaltung. Die psychoanalytische Theorie hat sich entwickelt und vertieft, indem sie die Vielzahl der psychischen Prozesse dachte, indem sie die unterschiedlichen Formen der Prozesse untersuchte, die sie zuvor als singuläre ausgemacht hatte.
Was für die Entwicklungen der Theorie gilt, gilt auch für diejenigen der Anordnung1 in der das Analysieren stattfindet. Am Anfang war die Psycho- analyse dadurch definiert, daß sie in einer bestimmten, grundlegenden, nur ihr eigenen Anordnung durchgeführt wurde. Sie war nur »Psychoanalyse« wenn sie in der Anordnung Couch – Sessel stattfand. Sonst handelte es sich um »Psychotherapie«, einer abgewerteten Form der ersten, ein Nebenpro- dukt, im besten Fall psychoanalytisch orientiert, im schlimmsten in stüt- zender Funktion. So bestimmte diese, von der Anordnung geprägte Defini- tion der Psychoanalyse über Indikation und Kontraindikation. Es war die Anordnung, die darüber entschied, was analysierbar war und was nicht, was Analyse war und was nicht.
Auch hier scheinen die vielseitigen aktuellen Entwicklungen, im beson- deren die Vielzahl der unterschiedlichen Anordnungen, welche die Analyti- ker konkret anwenden, die Ausgangslage zu verändern, den Gedanken der Vielfalt einzuführen. Der Übergang zum Begriff »psychoanalytische Arbeit« schafft die Möglichkeit, sich zu überlegen, welche Anordnung für die Analyse einer bestimmten Person entsprechend ihrer Bedürfnisse gefragt ist. So sind
* Unter dem Titel »La ›conversation‹ psychanalytique. Un divan en latence« erschienen in der Revue Française de Psychanalyse (vol. 69, 2/2005, S. 365-381). © PUF, 2005
1 Wir gebrauchen an dieser und anderen Stellen nicht das naheliegende Wort »Setting«, sondern übersetzen »dispositif« mit »Anordnung«, weil es dem Autor um die ganz kon- krete Anordnung im Behandlungsraum geht: Sessel – Sessel oder Couch – Sessel, gegen- über – nebeneinander – hintereinander. – Anm. d. Ü.
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es nun die Erfordernisse der Analyse, die bestimmen, welche Anordnung hergestellt und eingeführt werden muß und es »entscheidet« nicht mehr die Anordnung darüber, wer analysiert werden kann. Aber natürlich setzt dies einen Paradigmenwechsel voraus – und den Übergang zu einer Definition der Psychoanalyse, die nicht mehr von einer speziellen Anordnung abhängt, sondern deren Wert daran gemessen wird, ob sie eine bestimmte Art von psychischer Arbeit möglich macht. Es setzt den Übergang zu einer »Meta«- Definition der Psychoanalyse voraus.
Der Hauptgedanke, der dieser Meta-Definition zugrunde liegt, beinhal- tet, daß die grundlegende Situation der Psychoanalyse, die Situation Couch – Sessel, d.h. die Grundsituation, nur einen Spezialfall der analysierenden Situation darstellt, sicher einen besonders glücklichen, der jetzt aber nicht mehr »die« Psychoanalyse definieren sollte, sondern höchstens eine »Form« der Psychoanalyse, wie es die Bezeichnung »klassische Psychoanalyse« zum Ausdruck bringt.
Was mich betrifft, und ich bin sicher nicht der einzige, der so denkt, ver- suche ich, unabhängig von der Anordnung in der ich gerade arbeite – klas- sische Kur, Couch–Sessel mit mindestens drei Sitzungen pro Woche, im Gegenüber oder Seite an Seite, mit einer oder mehreren Sitzungen, manch- mal mit weniger – mich immer in dieselbe innere Haltung von Zuhören und Arbeiten zu versetzen. Ich suche in dem, was sich in der Kur entwickelt, einen Symbolisierungsprozeß zu entdecken, und versuche die Situation, in der sich dieser vollzieht, so zu gestalten, daß eine Übertragung sich organi- sieren, aufgenommen werden und sich entwickeln kann. Ich interveniere auf die Art, die mir die wirksamste zu sein scheint, um die in einem bestimm- ten Moment mögliche Symbolisierung zu optimieren und – insoweit er dazu bereit ist – die subjektive Aneignung des Analysanden von Stücken seines psychischen Lebens zu fördern. Es ist diese innere Haltung, die, wie mir scheint, am deutlichsten die psychoanalytische Arbeit charakterisiert und nicht dieser oder jener Aspekt der Anordnung. Dies bedeutet aber nicht, daß ich die Frage der Anordnung außer acht lasse, sie ist aber für mich nicht mehr das, was die Analyse ausmacht.
Diese Auffassung enthält die Idee, daß die Kur der Ort des Einbringens, der Entfaltung und des Durcharbeitens eines Ganzen von subjektiven Erfah- rungen ist, die in der analytischen Begegnung übertragen werden und deren Bearbeitung und Metabolisierung von Sitzung zu Sitzung fortschreitet, auf einem Weg, der der jeweiligen Person entspricht.
Von diesem, auf den psychischen Prozeß zentrierten Gesichtspunkt aus hat kein psychischer Inhalt a priori Vorrang und keiner ist a priori ausge- schlossen. Im Gegenzug ist keine Art der Intervention a priori vorgeschrie- ben oder verboten.
Es ist die Entwicklung des assoziativen Prozesses, seine ihm eigenen Meander und Wechselfälle, es ist der Stand der Übertragung, die dessen Funktion im Verlauf der Sitzung reguliert, die zusammen jeder Sache ihr
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Maß verleihen, und nicht eine bereits vorhandene Theorie dessen, was die Analyse sein »muß«.
In diesem Punkt halte ich der Tradition der freudschen Psychoanalyse die Treue, die weder einen bestimmten psychischen Inhalt noch eine spe- zielle Art von Deutung fetischisiert, sondern eine »maßgerechte« Anpas- sung an die Bedürfnisse des Verlaufs der Analyse verlangt. Diese Bemü- hung um Anpassung, der ich nachzukommen oder der ich je nach meinen Gegenübertragungsschwankungen wieder gerecht zu werden versuche, hat zur Folge, daß meine Arbeitsweise von einer Kur zur anderen, von einem Prozeß zum anderen recht verschieden sein kann, ohne daß ich deshalb aufhören würde, mich als Psychoanalytiker zu fühlen. In der Vielzahl und durch die Vielzahl der Facetten der Analyse, die ich in Gang setze, kommt meine Identität als Analytiker am besten zum Ausdruck. Die »freie Anpas- sung« der Analyse und des Analytikers, des »analytischen Stils« scheint mir die conditio sine qua non der für die analytische Praxis erforderlichen Kreativität zu sein.
Ich habe sogar das Gefühl, daß in dem Maß, in dem das, was in meiner Praxis unverändert bleiben soll, durch diese innere Haltung klarer definiert ist, die maßgerechte Anpassung mir leichter fällt. Ebenso kann ich die Fra- ge nach dem Unveränderlichen in der Psychoanalyse besser an dieser inne- ren Haltung festmachen als an einer spezifischen Anordnung. Und dieses Unveränderliche finde ich in der Arbeit der Optimierung der Symbolisie- rungsfähigkeiten und der subjektiven Aneignung.
Somit muß also die innere Haltung sich an eine analysierende Anord- nung anlehnen können. Denn es gibt keine innere Haltung, die sich nicht verkörpern, auf etwas ausrichten muß, die repräsentiert werden muß. Denn die psychoanalytische Arbeit braucht auch einen Rahmen, der als »Sache«, als Akt, als Faktum den Symbolisierungsprozeß für den Patienten und den Analytiker symbolisiert. Diese Anordnung muß für den Analysanden den Ort verkörpern, an dem er das Stück seines psychischen Lebens, das er in die Analyse einbringen will, aktivieren kann. Es genügt nicht, daß die Anord- nung die Symbolisierung für den Analytiker symbolisiert, die Anordnung muß auch für den Analysanden die psychische Verarbeitung symbolisieren und dies entsprechend seiner ihm eigenen Fähigkeiten.
Die Überlegungen, zu denen ich Sie in diesem Artikel einlade, sind in der Richtung, die ich eben angekündigt habe, eine Fortsetzung derjenigen, die ich nun seit gut 15 Jahren als Voraussetzungen einer Erweiterung der psychoanalytischen Arbeit vorschlage (Roussillon, 1988). Sie betreffen vor allem die Herstellung der analysierenden Situationen »nach Maß« für gewis- se Arten psychischen Funktionierens, und zwar speziell für diejenigen, die, wie auch immer das Funktionieren des Analysanden sich gestaltet, die Frage der Analyse der Identitätsproblematik aufwerfen.
Zu Beginn möchte ich einen Punkt unterstreichen, der mir in vielen Arbeiten enthalten zu sein scheint, die dem psychoanalytischen »Gegen-
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über« oder dem psychoanalytischen Seite an Seite gewidmet sind. Diese Bezeichnung und diese »Position« entsprechen meiner Meinung nach besser der Arbeit, die da unternommen wird. Sie erweitert meine ersten Bemerkun- gen und betrifft das In-der-Latenz-Halten der Couch und der grundlegen- den Anordnung der Psychoanalyse in Behandlungen, in welchen sie nicht zur Anwendung kommt.
Zur Latenz der Anordnung und/oder zur Bedeutung der stummen Anwesenheit der Couch, die diese verkörpert und symbolisiert, tragen meh- rere Faktoren bei.
Der erste stammt aus der Gegenübertragung. Der Analytiker hat seine eigene Analyse in der Anordnung Couch – Sessel gemacht, diese ist für ihn mit der psychoanalytischen Arbeit verbunden. Er hat seine Ausbildung und im besonderen jenen Teil, der die supervidierten Behandlungen umfaßt, nach dieser Anordnung durchlaufen. Anders gesagt sind die Couch und das, was sie repräsentiert, – die liegende Position und die Einladung zu Passivität und Verletzlichkeit aufgrund der damit verbundenen Lockerung der Abweh- ren, der Analytiker, der dem Blick verborgen, also abwesend für die visuelle Wahrnehmung ist, und damit alle bedeutungsvollen Elemente der psycho- analytischen Anordnung – »präsent« und auf eine gewisse Art symbolisch unabtrennbar von dem, was die Analyse für ihn bedeutet. Und daraus, daß der Analysand während der Sitzung nicht liegt, daß die »Couch« nicht förm- lich besetzt ist, folgt nicht, daß diese wesentlichen Charakteristiken aus sei- nem psychischen Funktionieren verschwinden. Sie sind in die Latenz ver- setzt, bleiben aber als Hintergrund präsent, als Hintergrundsobjekt seiner Art des Zuhörens. Meist ist übrigens die Couch im Raum vor den Augen des Analytikers vorhanden und wahrnehmbar. Und sogar wenn sie stumm ist, bleibt sie die Organisatorin. Analytiker empfangen ihre Patienten nicht hin- ter einem Schreibtisch, sondern in Anwesenheit und neben einer Couch.
Aber es scheint mir, daß die Couch nicht nur auf diese Art implizit anwe- send ist. Oft wird eine Indikation für eine Arbeit im Gegenüber oder im Nebeneinander aus der Vorahnung heraus gestellt, daß sich in einer in der Grundanordnung durchgeführten Analyse Gefahren oder Schwierigkeiten ergeben könnten. Die Arbeit im Gegenüber oder im Nebeneinander ist dann eine Alternative zur grundlegenden Anordnung, und als solche kommt sie als Referenz auch zur Erwähnung. Die gegenwärtige Arbeit kann als Vorarbeit für eine zukünftige Analyse im Liegen dienen oder umgekehrt – wir werden später noch auf diesen Punkt zurückkommen – sie kann sie abschließen, sie verlängern oder wieder in Gang setzen.
Für einen ausgebildeten Analytiker ist die klassische Anordnung immer gegenwärtig, auch wenn sie nicht zur Anwendung kommt und sogar dann, wenn es sich bei der vorgeschlagenen Behandlung gar nicht mehr um eine individuelle Behandlung handelt. Denn haben nicht einige unserer Kollegen, die Familientherapien durchführen, ihrer Zeitschrift den Namen »die Fami- liencouch« (le divan familial) gegeben?
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Mir scheint, daß das, was für den Analytiker gilt, auch für den Ana- lysanden zutrifft. Für diesen ist die Couch ebenfalls im Raum anwesend, in ihrer Gegenständlichkeit wahrnehmbar. Oft legt er dort einzelne seiner Sachen ab, »deponiert« sie dort für die Dauer der Sitzung, ein Kleidungs- stück, eine Tasche oder sonst etwas, wenn er nicht umgekehrt es sorgfältig vermeidet, irgend etwas dort hinzulegen, um diesen Platz »frei« zu lassen für eine zukünftige Verwendung oder für ein phantasiertes Depositum. Im einen wie im andern Fall ist die Beziehung zur Couch bedeutungsvoll. Jeder Analytiker kennt diese Blicke, die im Verlauf einer Sitzung in Richtung Couch gehen oder diese Handbewegungen, die die Couch automatisch und unbeachtet zum Träger einer Person aus der Geschichte des Analysanden bestimmen, auch diese hier »deponiert« und auf diese Weise anwesend und gleichzeitig auf Distanz gehalten. So wird sie Träger einer Person oder eines unbewußten Teils des Analysanden selbst, der in Erwartung der Integration beiseite gelegt wurde. Die Psychoanalyse ist in der Gesellschaft durch die Anwesenheit der Couch in der Praxis des Analytikers symbolisiert, und auch wenn sie nicht real zur Anwendung kommt, »symbolisiert« sie die »Analy- se«, sie symbolisiert die Symbolisierung, sogar für die Analysanden, die sie nie gebraucht haben.
Anders gesagt, selbst wenn die Analysanden dem Analytiker gegenüber oder neben ihm sitzen, scheint mir die klassische Anordnung in der analy- tischen Begegnung gegenwärtig zu sein, sie ist gegenwärtig und zur Seite gelegt, und das scheint mir sehr wesentlich im Prozeß.
Dies trifft speziell für die zwei Arten von klinischen Situationen und von »Analyse-Anfragen« zu, denen ich mich jetzt zuwenden will, und die mich dazu gebracht haben, den Ausdruck »psychoanalytische Konversation« zu verwenden. Mit ihm läßt sich am besten die Art psychoanalytischer Arbeit umschreiben, zu der ich durch das geführt wurde, was ich von den Erforder- nissen des Symbolisierungsprozesses in diesen Behandlungen wahrgenom- men habe.
Die erste Art betrifft Anfragen nach Wiederaufnahme einer Analyse. Meist handelt es sich dabei um Personen, bei denen nicht ich die erste Tran- che2 oder eine der vorangegangenen Tranchen durchgeführt habe, falls es sich um Fälle handelt, die schon mehrere Analysen hinter sich haben, aber es kann sich auch um Personen handeln, auch wenn das meiner Erfahrung nach seltener vorkommt, bei denen ich der erste Analytiker bin. Das Besondere an diesen Anfragen besteht darin, daß diese Analysanden – sogar wenn es sich dabei um Analytiker oder »Psy« handelt, die selbst die Psychoanalyse oder eine ihr verwandte Therapieform praktizieren – sich ausdrücklich wünschen, daß die unternommene Arbeit nicht auf der Couch durchgeführt werde, son- dern daß sie die sitzende Position im Sessel einnehmen können.
2 Im Französischen und im Schweizerischen meint eine »Tranche« ein Stück, eine Etappe, eine Phase einer Psychoanalyse. – Anm. d. Red.
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Dabei zeigen sich die Analysanden meist recht befriedigt von der ana- lytischen Arbeit, die sie bisher unternommen haben, sie üben wenig Kri- tik an dieser, machen allerdings nur spärliche Angaben. Die Analysanden haben weder ihrem früheren Analytiker noch der analytischen Situation etwas Spezielles vorzuwerfen, sie haben nur den Eindruck, daß etwas für sie Wesentliches noch nicht zur Sprache kommen konnte. Deshalb wünschen sie die psychoanalytische Arbeit fortzuführen. Ihr Wunsch ist es, eine Analyse und/oder eine psychoanalytische Arbeit wieder aufzunehmen, aber im Sit- zen. Wenn man versucht, der Frage nachzugehen, weshalb sie diese Position derjenigen auf der Couch vorziehen, erfährt man nicht viel mehr, sogar wenn es sich bei den potentiellen Analysanden um Analytiker handelt, die sich vie- le Gedanken über ihre vorangegangene Analyse gemacht haben. Im besten Fall stellt man fest, daß das Ende der vorangegangenen Analyse sich häufig unter dem Eindruck vollzog, daß sie nicht mehr viel weiter führen könne. Das bedeutet nicht, daß die Arbeit abgeschlossen war, aber daß sie aufhörte, weil sie nicht mehr weiter gehen konnte. Es war der Eindruck entstanden, daß es zu einem Prozeß ohne Ende kommen könnte oder bereits gekommen war, der als »Sich-im-Kreis-Drehen« empfunden wurde. Diese Formulie- rung habe ich so oft gehört, daß ich sie für bedeutungsvoll halte. Einige der Analysanden hatten den Eindruck, daß sie alles durchgenommen hatten, was ihnen die Analyse im Liegen bringen konnte. Ich werde später zurückkom- men auf die Verbindung, die sich ziehen läßt zwischen diesen Besonderheiten der Analyse-Anfrage und dem Eindruck, den ich bald erhielt, daß diese Per- sonen »assoziierten«, ohne mich anzuschauen, wie abgeschnitten von mei- ner Anwesenheit. Diese Verhaltensweise ist um so bemerkenswerter, als man erwarten könnte, daß der Wunsch nach dem »Gegenüber« begleitet wäre von einem Sich-Stützen auf die visuelle Anwesenheit des Analytikers und auf eine mehr »interaktive« oder zumindest präsentere Haltung desselben. Aber alles scheint sich so abzuspielen, als ob, trotz der Position des Gegenübers oder des Seite an Seite, die Analysanden »auf der Couch« geblieben wären und sich weiterhin so »verhielten«, als lägen sie noch immer dort.
Der zweite Typus von Analyse-Anfrage ist von ganz anderer Art. Sie stammen von Analysanden, meiner Erfahrung nach vorwiegend von Frau- en, die sozial sehr erfolgreich sind und sich gleichzeitig in ausgeprägter Weise weniger gegen Passivität als gegen Abhängigkeit wehren, wobei man sich vorstellen kann, daß eine Verbindung zwischen diesen beiden besteht. Vielleicht wäre es besser zu sagen, daß sie weniger die Passivität ablehnen, als eine bestimmte Art, diese zu erleben, als Unterwerfung oder sogar als Kapitulation. Es sind Persönlichkeiten von großer, ja sogar von hervorra- gender Intelligenz, von denen man sagen kann, daß sie »begabt« sind für die Analyse – wenn auch nie ganz kar ist, was man darunter versteht – und daß sie ein sicheres Gefühl für zwischenmenschliche Beziehungen haben. Es sind führende Persönlichkeiten, »starke« Persönlichkeiten, die im Ver- lauf der Kur häufig meine Bewunderung für ihre Leistungen geweckt haben.
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Die Patientin, die ich »Ladie« genannt und in meinem Artikel »Winnicott et le ›besoin‹ de la folie« (Roussillon, 2004) ausführlicher erwähnt habe, ist ein recht typisches Beispiel dafür. Diese Personen wollen sich nicht in eine Analyse einlassen, auch wenn sie psychoanalytische Hilfe wünschen, und lehnen für die Angstzustände oder die depressiven Zustände, derentwegen sie kamen, jegliche medikamentöse Hilfe ab, die ja sonst in diesen Fällen sehr verbreitet ist. Sie fügen sich auch nicht in eine Situation, in der sie assoziieren und von dem sprechen sollten, was ihnen am Herzen liegt oder sie quält, ohne mit dem Eingreifen ihr Gesprächspartners rechnen zu können. Sie erwarten vom Analytiker, daß er sich zumindest mit einem Wort oder einer Deutung einläßt, auch wenn es sich nicht – das haben sie wohl verstanden und erwarten es auch nicht – um Ratschläge oder eine stützende Interventi- on handelt. Sie wünschen keine Rückversicherung, keine »Stütztherapie«, sie wollen eine »Analyse«, aber im Gegenüber und in Form eines »Gesprächs«, das ihre Schwierigkeiten oder die wesentlichen Dinge ihres Lebens betrifft. Angesichts der Besonderheiten ihres Wunsches, schien es mir wichtiger, die- sen zu akzeptieren als ihn zu deuten. Wie hätte man ihn denn deuten sollen? Als Ablehnung von Passivität? Von Abhängigkeit? Daß sie es ablehnten zu »regredieren«, sich weigerten, ihre überlegene Position aufzugeben? Und wel- che Dynamik sollte mit der Deutung dieser Verweigerungen aufgezeigt wer- den? Sollte ihnen ihre Zurückweisung zum Vorwurf gemacht werden? Statt dessen habe ich beschlossen, mich in eine Arbeit einzulassen, die ich zuerst für mich selbst »psychoanalytische Konversation« genannt habe. Denn, täu- schen wir uns nicht, auch wenn der Stil der Begegnung der des Gesprächs ist, innerhalb dessen wechselweise jeder das Wort ergreift, auch wenn der eine von beiden, der Analysand, wesentlich mehr sagt als der Analytiker, bleibt dieses Gespräch psychoanalytisch in dem Maße wie die Interventionen des Analytikers, auch wenn sie nicht in Form von Deutungen erscheinen, immer einen deutenden Wert besitzen und immer dem Stand der Übertra- gung Rechnung tragen.
Ich werde später auf auf einige Überlegungen zurückkommen müssen, welche die Eigenheiten der Übertragung und der speziellen Art von Squigg- le-Spiel betreffen, welches mir als Voraussetzung für den Umgang mit der Übertragung erforderlich zu sein schien. Aber vorher möchte ich auf die Bezeichnung »psychoanalytische Konversation« zurückkommen, die ich auch verwende, um die Arbeit zu definieren, die ich beim Typus der ersten von mir erwähnten Anfragen unternommen habe, die von Personen stamm- ten, für die ich der zweite, dritte oder sogar – wie es auch schon geschehen ist – der vierte Analytiker bin.
Ich habe bereits betont, daß ich frappiert war von der speziellen Art des Assoziierens dieser Analysanden. Ich habe erwähnt, daß sie zu »assoziieren« schienen, als ob sie noch auf der Couch lägen. Ich habe auch schon betont, daß sie wenig von ihren früheren Analysen sprachen. Daß diese im Inhalt des- sen, was sie in den Sitzungen sagten, wenig gegenwärtig waren, heißt nicht,
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daß sie ganz und gar abwesend waren. Sie waren »gegenwärtig« durch die spezielle Art der Analysanden, zu mir zu sprechen ohne mich anzuschauen, obwohl sie ja ausdrücklich die Position des »gegenüber Sitzens« gewünscht hatten. Sie schienen – jedenfalls auf der manifesten Ebene – weder etwas von mir zu erwarten noch ihre Rede speziell an mich zu richten. Zu Beginn der Analyse hatte ich oft den Eindruck, daß die Form der Assoziation, die sie verwendeten, sich im Kreis drehte oder sogar leerlief, sie ließ für mich den Eindruck einer Art von Wirbel entstehen, der eine zentrale Leere umschloß. Aber auch ihre Art, ihre Träume und den größten Teil des Materials, das sie brachten, selber zu deuten, war auffallend. Die Deutungen, die sie für ihre Funktionieren fanden, waren übrigens keineswegs uninteressant oder unzu- treffend, und am Anfang habe ich mich oft gefragt, was ich ihnen wohl noch anbieten könnte, das sie noch nicht verstanden und bereits, besser als ich es könnte, »lang und breit« durchgearbeitet hatten. Aber vor allem beeindruck- te mich in dem, was man als ihr »Verhalten« in den Sitzungen bezeichnen muß, immer mehr der Umstand, daß es ihnen die meiste Zeit an jeglichem Affekt fehlte und sie dadurch auch von jeder manifesten »Adresse« abge- schnitten waren. Das gesuchte oder anvisierte Objekt schien sich ihrem Ver- such, es einzufangen, zu entziehen. Ich hatte manchmal den Eindruck, daß, wäre ich nicht da gewesen, sie auf dieselbe Art und Weise weiter gesprochen hätten. Und dabei hatten die meisten von ihnen mich sorgfältig ausgewählt. Ich war in ihrem Sprechen abwesend, unpersönlich gemacht – jedenfalls hat- te es den Anschein – und dies sogar dann, wenn sie von der Wirkung einer ausgefallenen Sitzung oder irgendeiner Besonderheit der Analyse oder des Analytikers sprachen. Sogar wenn sie sich direkt auf die Analyse oder auf etwas, das mit mir in Verbindung stand, bezogen, fühlte ich mich abwesend oder zumindest abwesend in ihren Worten. Es gelang mir nicht, etwas vom gegenwärtigen Prozeß wiederzuerkennen, dieser Bezug blieb »theoretisch« und wie aufgesetzt.
Ich hatte auch große Schwierigkeiten, mich affektiv betroffen zu fühlen und empathisch in bezug auf den Inhalt ihrer Äußerungen, und dies sogar dann, wenn ich den Eindruck hatte, daß ich es theoretisch hätte sein kön- nen oder müssen. Dieses Gefühl eines Schnitts erinnerte mich an eine auto- erotische oder eher noch autosensuelle Funktionsweise, auch wenn sie sich durch die Sprache ausdrückte, und schließlich an einen Prozeß autistischer Art. Die Situation war paradox, wenn man bedenkt, daß diese Analysanden einerseits meine Anwesenheit und mein Intervenieren verlangten, was mich dazu geführt hatte, sie »in Anwesenheit« zu empfangen, und andererseits ihre ganze Haltung eine Vermeidung von genau diesem anzeigte.
Die Hypothese, die für mich immer deutlicher zu werden begann, war die, daß ihre Art zu assoziieren komplementär zu einem psychisch abwesen- den Objekt zu sein schien und dazu bestimmt war, die enttäuschende Wir- kung, welche die psychische Abwesenheit des Objekts hervorgerufen hat- te, zu unterdrücken. Das scheinbare Paradoxon schien somit das geeignete
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Mittel darzustellen, um die psychische Wirkung der Besonderheiten einer solchen Begegnung in die Übertragung einzuführen und sie mir auf diese Weise mitzuteilen.
Die Erfahrung der psychoanalytischen Praxis hat uns die Vorsicht und die Vorteile des Wartens gelehrt, so habe ich denn zuerst einmal gewartet. Ich wartete darauf zu sehen, was schließlich herauskommen würde. Aber dieses Warten ließ nichts entstehen, das leicht zu erkennen war oder das mir überzeugend oder dynamisch erschien. Ich konnte ein Überangebot an Deu- tungen machen. Manchmal ergab sich das, dann konnte ich die Reihe ihrer Selbstdeutungen wieder aufnehmen, um ihrem Inventar meine persönliche Note hinzuzufügen. Wenn ich diese Richtung einschlug, stellte ich bald fest, daß dies nur wenig an ihrem Funktionieren änderte, außer daß sie das, was ich hinzugefügt hatte, ohne jegliche zusätzliche psychische Arbeit in ihr bis- heriges Programm aufnahmen. Jede neue Deutung konnte denjenigen hin- zugefügt werden, über die sie bereits verfügten, aber ohne daß sich daraus ein Konflikt ergeben hätte, ohne wirkliches Erarbeiten einer Synthese, ohne echte psychische Arbeit. Und wenn ich in diesem Moment der analytischen Begegnung den Einfall gehabt hätte, die »Konstruktion« einzuführen, die für mich immer mehr Gestalt annahm, diejenige von ihrer autosensuellen Reaktion im Augenblick einer primären Begegnung mit einem psychisch abwesenden oder unerreichbaren Objekt, hätte ich den Eindruck gehabt, anstelle der analytischen Arbeit und der Ausdauer, der ich verpflichtet war, einen theoretischen Kurzschluß zu setzen.
Indessen war ich bald einmal von der Nutzlosigkeit des geduldigen und passiven Wartens ebenso überzeugt wie von der Nutzlosigkeit dieser Art von Deutungen. Das Niveau oder die Art der Interventionen mußte verändert werden. An dieser Stelle schien es mir interessant zu versuchen, diese Art der Assoziation zu »durchbrechen«, indem ich mit der üblichen psychoanalyti- schen Haltung brach. Zuerst indem ich einige direkte Fragen formulierte, um zu versuchen, den geschlossenen Kreis, den ihre Assoziationen mir boten, zu öffnen und ihre Aufmerksamkeit auf die Anwesenheit eines anderen denken- den Subjekts zu lenken, dessen Denken sich auf das richtete, was sie gerade gesagt hatten. Ich hatte den Eindruck, sie zu stören, aber ich behielt diese Art, mich präsent zu zeigen und Fragen zu stellen, bei. Ich explorierte – auch hier manchmal mit recht direkten Fragen, aber häufig auch mit Fragen, die »ich mir stellte« – den Kontext der erwähnten Situationen oder die Beson- derheiten der anderen dort vorkommenden Protagonisten, und gelangte so allmählich dazu, den Stil »psychoanalytische Konversation« zu verwenden. Dies kann für die Dauer einer einzigen Sitzung der Fall sein, in der es erfor- derlich scheint, oder kann sich über eine Sequenz von mehreren Sitzungen erstrecken, in einer Phase speziellen Durcharbeitens, und kann sogar wäh- rend mehrerer Monate den Sitzungen eine spezielle »Atmosphäre« verleihen. Der Stil prägt also häufig die weitere Arbeit und dies sogar dann, wenn die Art zu intervenieren wieder eine »klassischere« Form angenommen hat.
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Es versteht sich von selbst, daß sich dem Analytiker, wenn er im Lauf einer Analyse dazu kommt, einen speziellen Deutungsstil anzunehmen, nicht nur Fragen zu Aspekten der Gegenübertragung stellen, die auf diese Art zum Ausdruck kamen, sondern auch zur Frage, was in der Klinik dieser Begegnung ihn zu dieser Art der Präsenz und der Intervention führen konn- te. Es scheint mir hier nicht angebracht, die möglicherweise mobilisierten Aspekte der Gegenübertragung darzulegen, hingegen sind vielleicht die kli- nischen Überlegungen interessant genug, um dargestellt zu werden.
Die erste betrifft die Beziehung zur Sprache, und in diesem Punkt schei- nen mir die zwei Gruppen von Personen, die eine Analyse wünschen, so verschieden sie sonst sein mögen, sich nicht grundlegend voneinander zu unterscheiden. Die Analysanden, bei denen ich vorübergehend oder für län- gere Zeit den Stil des »Gesprächs« verwendet habe, haben eine relativ leichte, flüssige Art zu sprechen ohne größeren manifesten Widerstand. A. Green hat betont (2000; 2006), daß eine der Charakteristiken im Bereich der Psy- choanalyse in der Entwicklung einer Übertragung auf die Sprache bestehe, sofern diese der Ort des Austausches und der Begegnung sind. Im besonde- ren bedeutet dies, daß die nicht verbalen Ausdrucksformen, jene also, welche vor allem über visuelle Kanäle laufen, ein Mittel finden müssen, um sich in den Sprachapparat überführen zu lassen, ein Mittel, um von dem einen oder anderen Medium übernommen zu werden, über welches dieser verfügt. So müssen die Prosodie und alle nicht verbalen Aspekte des Sprachapparats Trä- ger von Botschaften sein, die aus der Sprache der Affekte oder derjenigen der Sachvorstellungen und ihrer motorischen Gestik stammen. Anders gesagt, besteht eine der grundlegenden Notwendigkeiten der psychoanalytischen Situation darin, daß sämtliche Arten von Triebrepräsentanzen im Sprachap- parat eine Form der Wiederaufnahme finden. Aber solche Übertragungen, seien sie intrapsychisch oder interpsychisch, vollziehen sich natürlich nicht von selbst. Sie haben eine Geschichte, die reich ist an Fallstricken, bestehend aus den Spaltungen und den Verdrängungen, welche psychische Fixierungs- spunkte entstehen lassen und häufig zum Versagen der Transporte führen, die für diese Transformationen durchgeführt werden müssen. Bevor er dazu imstande ist, die verschiedenen Arten von Triebrepräsentanzen in den Sprach- apparat zu »übertragen«, muß der psychische Apparat komplexe historische Entwicklungen durchlaufen, von denen ich an anderer Stelle gewisse struk- turierende Momente während der Latenzphase und im Laufe der Adoleszenz zu beschreiben begonnen habe (Roussillon, 1999; 2000).
Es bedarf eines komplexen Zusammenspiels der primären Sexualisie- rung der Sprache und der sekundären Desexualisierung derselben, damit die Worte das Erbe der nonverbalen und präverbalen Kommunikationsarten in sich vereinen können, damit sie deren psychische Repräsentanzen aufneh- men können.
Im übrigen wird in der Realität nie die Totalität der Affektsprache, noch die der Gebärdensprache, jener Gestik der Sachvorstellungen und der Hand-
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lung, in den Sprachapparat übernommen: Beim intrapsychischen Transfer bleibt immer ein Rest.
Aber wenn dieser Transfer, diese Übertragung oft genug stattfinden kann, vermittelt die Verbindung der Person mit der Sprache im Laufe der analytischen Sitzung in der Grundsituation entweder in ihrer Prosodie oder in ihrer Pragmatik und ihrer rhetorischen Wirkung oder schließlich noch in ihrer Stilistik nonverbale und präverbale Kommunikationsformen des Ana- lysanden. Die Analyse ist beladen mit ihrem Gewicht aus Trieb und Fleisch und bearbeitet die »primäre Materie der Psyche«, die in die Worte eingebun- den ist.
Bei den Analysanden, bei denen mir das analytische Gespräch erforder- lich zu sein schien, habe ich oft festgestellt, daß unabhängig von der Leichtig- keit, mit der sie mit Sprache umgingen, diese den Affekt oder die Sach- oder Handlungsvorstellung nicht wiederzugeben vermochte. Oft war das Wort von einer Gebärde begleitet, einer Gebärde, die für die Verständlichkeit des Gesagten unentbehrlich zu sein schien, einer Gebärde, als »Überbringerin« einer psychischen Bewegung, einer psychischen Haltung, eines Affekts, einer Gebärde, die auch oft von einer so ausdrucksstarken Mimik unterstrichen wurde, daß auch diese die Bedeutung einer zielgerichteten Botschaft erhielt.
Spricht man von der Bedeutung des einander Gegenüber-Sitzens, so wird oft die Suche nach einer Abstützung in der visuellen Wahrnehmung des Analytikers hervorgehoben. Mir persönlich scheint dabei vor allem bemerkenswert, daß hier eine andere Ausdrucksform eingeführt wird, die es ermöglicht, einen psychischen Inhalt mehr zu »zeigen« als auszusprechen, oder ermöglicht, daß ein gezeigter Inhalt, im selben Moment, in dem er ver- bal ausgedrückt wird, den Status einer Übertragungsbotschaft erhält.
Oft scheint sich der »Dialog« sogar gleichzeitig auf zwei verschiedenen Ebenen abzuspielen: Einerseits auf der verbalen Ebene, die ihre eigene Kohä- renz besitzt, andererseits aber entwickelt sich ein Dialog der Mimik, Gestik und Körperhaltung, der auch über seine eigene »Logik« verfügt und nicht notwendigerweise auf den verbalen Dialog abgestimmt ist. Folgt man Freud in der in »Konstruktionen in der Analyse« (1937d) vorgeschlagenen Rich- tung, wo er den Einfluß der Erfahrungen, die dem Spracherwerb vorausge- hen, betont, kann man, wie mir scheint, die Hypothese einer ausgewählten Kommunikation von subjektiven Erfahrungen aufstellen, die gemacht wur- den, bevor die verbale Sprache das Primat über die Gesamtheit der ande- ren Ausdrucksformen erreicht hat, d.h. von archaischen Erfahrungen. Das Gegenüber oder das Seite-an-Seite scheinen mir primitive Kommunikations- formen wieder in die Übertragungsbeziehung einzuführen, nonverbale Bot- schaften, die gewisse Formen von Affekten, von Gebärden, von Mimik und eine Form von »Gespräch« verwenden, das über körperliche Abstimmung läuft. Wichtiger noch, für jene Personen, für die sich die sprachliche Wie- dergabe der präverbalen Kommunikationsformen und Ausdrucksformen schwierig gestaltet, könnte die Anordnung im Gegenüber die einzige Mög-
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lichkeit darstellen, etwas von ihren primitiven Erfahrungen in die Übertra- gung einzuführen.
Sicher ist es kein Zufall, daß zahlreiche Psychoanalytiker übereinstim- mend die Meinung vertreten, daß es, wenn es in einer psychoanalytischen Arbeit vor allem um das narzißtische Leiden an der Identität geht, häufig notwendig ist, die Anordnung im Gegenüber oder Seite an Seite vorzuschla- gen. Dabei bin ich nicht sicher, ob das deshalb geschieht, weil man dadurch die »Wahrnehmung« einführt, eine Wahrnehmung, die davor schützt, daß infolge der Aktivierung unbewußter Phantasien zu viel Desorganisation ent- steht. Man hat auch den Exhibitionismus des »Zeigens« hervorgehoben, den diese Situation fördert. Ich frage mich umgekehrt oder eher ergänzend, ob es von der Klinik aus gesehen nicht sinnvoller ist, die Bedeutung des Gegen- über-Sitzens im Dialog aus Mimik, Gestik, Körperhaltungzu sehen, den sie ermöglicht, und darin, wie dieser »Dialog« oder diese körperliche »Konver- sation« es erlauben, subjektiven Erfahrungen, die dem Spracherwerb vor- ausgingen, Platz zu schaffen. Schon vor einigen Jahren (Roussillon, 1999b), bereits offen für diese Frage, habe ich mir überlegt, ob die mit Worten gesag- ten Dinge nicht auch eine körperliche Form des Ausdrucks finden müssen, nicht auch »mit dem Körper« gesagt werden müssen. Das Agieren ist eine Form von Handeln, eine Art Übertragungsbotschaft, welche die Gesamtheit von Sachvorstellungen und von Affektrepräsentanzen wie auch von Wort- vorstelllungen umfaßt.
In der Analyse, die in der ursprünglichen Anordnung durchgeführt wird, verläuft alles über den Sprachapparat. Sowohl beim Analysanden als auch beim Analytiker, bei jedem auf seine Weise, muß dieser Sprachapparat einen Weg finden, Mimik und Gestik, beides Bestandteile der nonverbalen Kommunikation, in sich aufzunehmen und einen Dialog herzustellen, der auch dieses Niveau bearbeitet, ohne daß dies ausdrücklich erwähnt werden muß. Mißlingt diese Arbeit, so beobachtet man häufig ein Zurückgreifen auf das Handeln oder das Somatisieren, deren Aufgabe es dann zu sein scheint, das in die Übertragung einzuführen, was sich nicht durch den Sprachapparat übertragen läßt. Die Anordnung im Gegenüber und der dadurch ermöglichte körperliche Dialog scheinen mir diese oft problematischen Ausdrucksfor- men zu moderieren, indem sie für psychische Inhalte, die nicht in die Sprache aufgenommen werden können, eine visuelle Ausdrucksform schaffen. Ich persönlich ziehe es vor, anstatt wie üblich auf der Problematik der visuellen Wahrnehmung zu insistieren, die Bedeutung der »Botschaften« hervorzu- heben, die über den visuellen Kanal übermittelt werden und auf die Über- tragung ausgerichtet sind. Die Frage, wie man sie deutet und ihnen in den verbalen Deutungen des Analytikers Rechnung trägt, ist eine weitere, die eine spezielle Untersuchung verdiente.
Ein zweiter klinischer Aspekt der psychoanalytischen Konversation, dem ich mich nun zuwenden möchte, betrifft das Register des assoziativen Funktionierens. Häufig ist, sogar in der Grundsituation, die freie Assozia-
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tion eigentlich eine »fokale«, d.h. die Assoziationen betreffen ein besonde- res Traumfragment oder einen Lebensabschnitt, der den Inhalt der Sitzung oder eines bestimmten Moments der Sitzung ausmacht. Als ob die Analy- sanden spontan jene assoziative Methode wiederfänden, mit der Freud in seinen Anfängen arbeitete, wenn er seinen Patienten vorschlug, zu dem oder jenem speziellen Punkt zu assoziieren, zu diesem oder jenem Bestandteil des Symptoms, wie man es zum Beispiel bei der Analyse des Traums von Irmas Injektion sehen kann. Es ist eine »eingeschränkte« Form der Assoziation, die die Gefahr einer Desorganisation des Sprechens verringert, die eine gewisse Kohärenz aufrechterhält und so möglich macht, daß ein Assoziieren in Gang kommt. Erst ab dem Jahr 1907 und mit der Analyse des Rattenmanns wird die Regel der freien Assoziation formuliert und kann Freud sich vorstellen, daß die Assoziationen faktisch auf latente Art durch die Existenz »unbe- wußter, repräsentativer Komplexe« organisiert sind, d.h. durch phantasma- tische unbewußte Organisatoren, die eine gewisse synthetische Funktion der Rede ausüben. Die freie Assoziation, die vollständig freie, die oft erst gegen Ende der Analyse erreicht wird, setzt ein Vertrauen in diese Art der Organisation der unbewußten Repräsentanzen voraus. Ist diese Organisa- tion ungenügend, wird die freie Assoziation oft als etwas erlebt, das einem der Gefahr, verrückt zu werden, aussetzt oder eine desorganisierte Form des Assoziierens hervorruft.
In den Behandlungen, die mich zur – mehr oder weniger – ausgeprägten Anwendung des »Konversationsstils« veranlaßt haben, habe ich oft beobach- tet, daß die Verwendung des assoziativen Funktionierens spezifische Funk- tionen haben konnte.
Entweder schien unter einer desobjektalisierden bzw. desubjektalisie- renden Perspektive die Freiheit des Assoziierens zu einer zunehmenden Desorganisation des Sprechens zu führen. Der Eindruck einer durch die Ahnung eines unbewußten Organisators vorgegebenen Kohärenz löste sich zunehmend auf, oder aber die Rede begann sich in einer Abwehrbewegung im Kreis zu drehen. Häufig endete es mit einem Schweigen des Analysan- den oder damit, daß dieser sich von seiner Rede distanzierte, sich aus der Beziehung zurückzog, was mir den Eindruck einer autistisierten Sprache vermittelte. Es sieht dann so aus, als ob das Sprechen, das zuerst an den Ana- lytiker gerichtet war, dadurch daß es keinen Antwortenden fand, sich nun auf sich selbst zurückziehe und die Adresse langsam verloren ging. Das ist es, was mich weiter oben eine Situation in der Vergangenheit vermuten ließ, in der es keinen Antwortenden gab, keinen Antwortenden oder höchstens einen potentiellen Antwortenden, der tatsächlich psychisch abwesend war. Vor allem in diesen Fällen scheint es mir wichtig zu bestätigen, daß die in der Assoziationskette enthaltene Botschaft angekommen ist, gehört und in Empfang genommen wurde und beim Analytiker einen Verarbeitungs- prozeß auslöst. In Anbetracht der unterschwelligen Ängste des Analysan- den wird diese »Antwort« wie ein Halteseil aufgenommen, das verhindert,
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daß es zu einem Ausrutschen auf der glatten Oberfläche eines still face in der Beziehung kommt, oder wie eine Gegenkraft, der gegenüber man sei- ne eigenen Grenzen erkennen kann. Die »modernen« Theorien bieten die Metapher des »Containers« (Bion) oder der »Enveloppe« (Anzieu) an, um zu versuchen, die Arbeit der Zusammenführung und der psychischen Bindung darzustellen, die dann gefordert ist. Es scheint mir auch, daß es sich hier um die ersten psychischen Formierungen handelt, denen es obliegt, die Vorläufer der Funktion der Synthese zu schaffen – deren mögliches Scheitern bei den »narzißtischen« Leiden Freud ab 1920 betonte.
Oder unter einer Perspektive, die eher die psychische Arbeit ins Auge faßt, nutzt der Analysand die Assoziation als Sammelstelle. Die Sitzung ist der Moment, wo er verschiedene Momente oder Komponenten desjenigen Fragments seines psychischen Lebens, das er in die Analyse bringt, »sam- melt«. Er sammelt im Moment der Sitzung die »Begründungen« für eine seiner Fragen, für einen der rätselhaften Punkte zusammen und versucht diese in ein Symptom der Sitzung zu verwandeln und als ein bedeutsames Ensemble zu organisieren, ein Ensemble, das dem Analytiker ein Zeichen gibt; das ein Fragment unbewußter psychischer Aktivität signalisiert; das ein Gesamt aus verstreuten Begründungen zu bündeln versucht. Dieses Zusam- menfügen ruft nach einer Empfangsbestätigung. Es wird nur dann sinnvoll, wenn der Analytiker zu der in Gang gekommenen Arbeit der libidinösen Bindung beiträgt, nur wenn seine Art zu intervenieren eine Wirkung von Miterregung hervorruft, von Ko-Subjektivierung, die für die psychische Bin- dung notwendig ist. Wir haben es betont, diese Vorgehensweise löst die meist stiefmütterlich behandelte Frage nach der metapsychologischen Bearbeitung aus, die doch von so großer Bedeutung für die Aktivität der Symbolisierung und für die Aktivität der Ichsynthese ist.
Tatsächlich wird die Symbolisierungsarbeit von einer Art assoziativer Atmung angeregt. Zeitweilig müssen Elemente, die innerhalb der Vorstel- lung untereinander verbunden sind, von einander getrennt, entbunden wer- den, um in eine andere Verbindung überführt werden zu können Das ist die »analytische« Zeit. Sie ist nicht ausschließlich dem Analytiker vorbehal- ten, sie gehört zum psychischen Funktionieren im allgemeinen. Umgekehrt müssen zeitweise verstreute Elemente zusammengeführt werden, um einen neuen Vorstellungskomplex zu bilden. Das ist eine Zeit der »Konstruktion«, die auch nicht ausschließlich für die Analyse reserviert ist, sondern zum pro- zessualen Gepäck des allgemeinen Funktionierens der Psyche gehört.
Ich habe immer wieder beobachtet, daß diese zweite Operation, die des Zusammenführens und der Konstruktion, des assoziativen Fokalisierens, bei der assoziativen Aktivität der Analysanden im Gegenüber, bei denen ich mich veranlaßt sah, die »psychoanalytische Konversation« einzuführen, von besonderer Bedeutung war. Bei diesen Analysanden, die eine lange Erfah- rung mit der Analyse haben, die schon mit mehreren Analytikern gearbeitet haben, ist zumindest zu Beginn der Analyse oftmals jedes Problem beglei-
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tet von einem »Résumé« der vorangegangenen Episoden ihrer Analyse, was den Eindruck eines psychischen Inhalts gibt, der schon »vollständig gedeu- tet« daherkommt, aber gleichzeitig sein Objekt zu verfehlen scheint. Dabei denkt man natürlich als erstes an ein kontrollierendes Verhalten gegenüber dem Analytiker. Aber mir scheint, daß man diese Art des Funktionierens nicht auf den Teil beschränken sollte, der ein sich der Deutung des Analy- tikers Bemächtigen bedeutet. Ich habe es oft viel zweckmäßiger gefunden, anzunehmen, daß die Analysanden, bevor sie eine Frage wieder aufnehmen konnten und um sie wieder in Arbeit nehmen zu können, sie zuerst »auf den Punkt« bringen wollten. Mal vollzieht diese Arbeit des Zusammenfüh- rens während der Sitzung – in und durch die Übertragung – die Arbeit der Bindung und Libidinisierung, die es für die Erzeugung von Repräsentation braucht, mal muß sie diese überhaupt erst wieder in Gang setzen, neu inter- pretieren und wieder beleben.
Die Arbeit der »psychoanalytischen Konversation« erscheint mir dann anlog einer Art von verbalem Squiggle-Spiel. Wie bei diesem wird, nachdem der Analysand seine »Form« vorgebracht hat oder die Art oder das Schema seiner Deutung eines psychischen Inhalts oder eines Lebensabschnitts, das er dem Analytiker »bringt«, vom Analytiker erwartet, daß er eine andere Form vorschlägt oder daß er diejenige des Analysanden umwandelt. An diesem ist es dann, die vom Analytiker vorgeschlagene Form zu deuten, und so stellt sich allmählich die Arbeit des In-Szene-Setzens, des Form-und-Sinn-Gebens ein. Ich hatte (Roussillon, 1984) den Ausdruck Arbeit der »Ko-Konstruktion« als Bezeichnung für diese Art von squiggle vorgeschlagen. Es ist diese Vor- aussetzung, die der Sitzung das konversationsartige Element verleiht, dieses »Wechselseitige«, mit dem jeder seine persönliche Art und Weise einbringt, um das Fragment des psychischen Lebens, das bearbeitet wird, zu verstehen und zu deuten. Ich erinnere daran, daß der »konversationsartige« Stil nicht ständig zur Anwendung kommt und daß er nur in gewissen Momenten der analytischen Arbeit passend ist, aber daß die spezielle Atmosphäre, die er der Sitzung verleiht, den Moment, in dem er angewendet wird, überdauert.
Das Modell des Squiggle-Spiels ermöglicht einen Prozeß ausreichender Gegenseitigkeit als Voraussetzung für einen Austausch und dessen verschie- dene Facetten, die dann in der Übertragung bearbeitet werden können, ohne daß dadurch zwangsläufig eine symmetrische Beziehung entstehen muß. Es bedeutet, daß jeder der Partner der Beziehung, zumindest aber der Analy- tiker es »auf sich nimmt«, das, was der andere ihm anbietet oder vorschlägt, umzuwandeln und zu deuten und gleichzeitig eine Art Spiel einführt, wo die Gefahr der Desymbolisierung repräsentatives Potential zu zerstören droht. Winnicott hat herausarbeiten können, daß die Analyse sich dort abwickelt, wo zwei Spielräume einander überschneiden – eine Aussage, die gleichzeitig klar und rätselhaft ist, in Anbetracht dessen, daß er, wenn er hervorhebt, daß ein Übergangsraum geschaffen wird, im selben Moment offen läßt, wie sich diese Übergangsräume in der psychoanalytischen Praxis konkret struktu-
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rieren können. Der Arbeitstil »Konversation«, verstanden als eine Art von Squiggle-Spiel, scheint mir eine der Möglichkeiten zu sein, sich vorzustel- len, wie die »Überschneidung« der Spielräume verstanden werden kann. Die Abfolge der Transformation des Sinns einer psychischen Sequenz, als solche vom Analytiker angekündigt und durchgeführt, weist darauf hin, daß Form und Sinn den psychischen Inhalten selbst nicht inhärent sind, sondern das Resultat einer bestimmten Art von Sinngebung und Deutung sowohl für den Analysanden als auch für den Analytiker. In dem Moment, wo diese Gege- benheit anerkannt wird, stellt sich die Frage nach dem, was die Wahl dieser oder jener Deutung determiniert. An dieser Stelle erhält der Spielraum seinen Sinn in der psychoanalytischen Sitzung, er wird zum potentiellen Raum für die Öffnung des Sinns und für das, was dessen Form determiniert. Es gäbe noch viel zu sagen zur Klinik der psychoanalytischen Konversation, aber die Grenzen der bisherigen Reflexion erlauben es nicht, das, was wünschenswert wäre, in seiner Integralität zu entwickeln, da diese wenigen Überlegungen eher ein Arbeitsprogramm darstellen als eine bereits vollständig abgeschlos- sene Reflexion. Insbesondere habe ich die doch recht wesentliche Frage der »reflexiven« Aspekte der psychoanalytischen Konversation nicht behandelt, von denen sich im Laufe meiner Abhandlung herausstellte, daß sie dem gan- zen Unternehmen zugrunde lagen. Im selben Sinn sollte man auch die spe- zielle Art beschreiben können, mit der Gesicht, Körper und das psychische Funktionieren des Analytikers, noch mehr als in der Grundsituation, als »Spiegel« der affektiven Zustände und der psychischen Aktivität des Ana- lysanden dienen. Aber man ahnt, daß die Metapsychologie einer »Konversa- tionssitzung« noch nicht vollständig »ausgereift« ist und daß es zuerst dar- um geht, zu versuchen, die Fragen herauszuarbeiten, die dieser »Arbeitsstil« aufwirft. Es scheint mir, daß ich angefangen habe, Untersuchungen in drei verschiedene Richtungen zu unternehmen, die unweigerlich komplementäre Entwicklungen auslösen.
Die erste betrifft den Status der Couch in der Anordnung im Gegenüber oder Seite an Seite.
Die zweite fragt nach der unterschiedlichen Verbindung in der Beziehung zur Sprache in der ursprünglichen Anordnung und im Gegenüber. Insbeson- dere wirft sie die Frage nach der Art auf, mit der die vorsprachlichen Erfahrun- gen in brauchbare »Botschaften« für die Analyse transformiert werden kön- nen. Diese Frage scheint mir von wesentlicher Bedeutung für die Vertiefung der Analyse der Konstruktion der narzißtischen Fundierung des Subjekts.
Die dritte endlich führt die Frage der Analyse der »Funktion der Syn- these des Ichs« und ihrer Vorgeschichte ein. 1938 betont Freud, daß der Analytiker dazu gezwungen ist, abzuwechseln zwischen der Analyse von »Fragmenten des Es« und »Fragmenten des Ichs«.3 Ab 1923 hat er außerdem
3 »Unsere therapeutische Bemühung pendelt während der Behandlung beständig von einem Stückchen Esanalyse zu einem Stückchen Ichanalyse. Im einen Fall wollen wir
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betont, daß eine der Schwierigkeiten, mit denen die negative therapeutische Reaktion den Analytiker konfrontiert, gerade darin besteht, daß die Funk- tion der Ichsynthese in diesen Fällen nicht oder nur sehr unzureichend aus- geübt wird.4 Es läßt sich leicht vermuten, daß das mehr oder weniger partielle Versagen der Fähigkeiten der Synthese des Ich mit dem niedrigen Grad der Libidinisierung der psychischen Aktivität in Verbindung steht. Wenn »Eros es liebt, immer größere Einheiten zu schaffen«, wie Freud 1920 schreibt,5 kann man tatsächlich annehmen, daß dessen Funktionieren wesentlich ist für das Auftauchen der Aktivität des Verbindens, die es braucht für das, was Freud die »Synthese« nennt. Aber welchen Platz nimmt bei dieser Aktivität des Zusammenführens das Objekt ein? Die Erfahrung mit der Analyse der Funktion der Assoziationen in den Situationen, die mich dazu geführt haben, den Arbeitsstil »Konversation« anzuwenden, scheint darauf hinzuweisen, daß das Zusammenfügen sich in der Begegnung mit dem Objekt vollzieht, in Gegenwart des Objekts und auch abhängig davon, wie das Objekt dazu beiträgt, die Aktivität des Zusammenfügens aufzunehmen. Die Autismus- Spezialisten haben betont, daß das körperliche Zusammenfügen des Säug- lings, die Voraussetzung für sein psychisches Zusammenfügen, wesentlich davon abhängt, wie er vom Objekt »getragen« wird. Das zentrale Stützen des Rückens und die Unterstützung des Kopfes machen es möglich, daß die primitive Überdehnung der Arme eingeschränkt wird und daß so Hand und Auge gleichzeitig wahrgenommen werden und im selben Moment wie das Gesicht der Mutter (Bullinger, 2004). Gerne möchte ich hier die Hypothese hinzufügen, daß dieses körperliche Zusammenfügen nur integriert werden kann, wenn es von einer Erfahrung libidinöser Miterregung begleitet ist, die vom Objekt unterstützt wird und durch die Brust und das Gesicht des Objekts gespiegelt wird.
Die Analyse und die für die psychischen Transformationen notwendige analytische Auflösung von Bindungen können nur voll zur Geltung kom- men, wenn im Gegenzug zur Bindungslösung eine Aktivität der Wiederver- bindung einsetzt. In diesem Kontext erscheint der Arbeitsstil psychoanalyti- sche »Konversation« als eine Art und Weise, Psychoanalytiker zu bleiben, in dem man die Grundvoraussetzungen des Wiederverbindens respektiert, die es für die Fortführung der Arbeit der Symbolisierung und der Subjektivie- rung braucht.
Aus dem Französischen von Betty Raguse (Basel) und Erika Kittler (Freiburg)
etwas vom Es bewußt machen, im andern etwas am Ich korrigieren.« (Freud, 1937c,
S. 84) – Anm. d. Red.
- 4 Siehe Freud, 1923b, S. 278ff.; 1924c, S. 478ff. – d. Red.
- 5 »Mit der Aufstellung der narzißtischen Libido und der Ausdehnung des Libidobegrif- fes auf die einzelne Zelle wandelte sich uns der Sexualtrieb zum Eros, der die Teile der lebenden Substanz zueinanderzudrängen und zusammenzuhalten sucht.« (Freud, 1920g, S. 66, Fußnote) – d. Red.
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Zusammenfassung
Der Autor versucht, eine spezielle Art von psychoanalytischer Arbeit dar- zustellen, »die psychoanalytische Konversation«, welche er mit gewissen Analysanden angewendet hat, entweder im Verlauf einer Wiederaufnahme einer Analyse oder mit Analysanden, die die Abhängigkeit und die Passivität als eine Form von Kapitulation erleben. Sukzessiv untersucht er im Zusam- menhang mit dieser speziellen Form der psychoanalytischen Arbeit das In- Latenz-Halten der Couch, die Eigenheiten gewisser assoziativer Modalitäten, die Frage des Scheiterns gewisser Aspekte der Übertragung auf die Sprache, die Entwicklung einer Form von verbalem und präverbalem Squiggle-Spiel, die Anfänge der Fähigkeit zur Ich-Synthese.
Summary
The author attempts to specify the nature of a particular form of psychoana- lytic work, the »psychoanalytic conversation«, an activity to which he has been led, either in the course of renewed analytic work with certain analy- sands, or with others who expierence dependence and passivity as a form of surrender. He successively examines setting aside the couch, the specificity of certain associative modalities, the question of certain aspects of the failure of transference on speech, the development of a form of verbal and preverbal squiggle and the premises of the capacity for ego synthesis in this particular form of psychoanalytic work.
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Prof. René Roussillon, 12 quai de Serbie, F-69006 Lyon
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